Tom Buhrow, das Riff der Riffs
und der große Traum des rockenden Abts
Zwischenruf Deep Purples 'Geist-reicher' Kloster-Gig in den Tagesthemen.



Zwischenruf vom 10.08.2008


Boris Theobald
»Deep Purple rocken im Kloster« lese ich am Abend des 3. August im Jahr des Herrn 2008 im ARD-Videotext auf Tafel 311. Richtig, das wissen wir alle - Tafel 311 ist die Themenvorschau der Tagesthemen. Gebannt begebe ich mich also ab 22.45 Uhr in eine vorfreudig erregte Erwartungshaltung. Fast wie als kleines Kind an Heiligabend vor dem Weihnachtsbaum muss ich da wohl sitzen vor dem Fernseher und harre der Geschenke, die mein rockmusikliebendes Herz da zu erwarten hat.
Um kurz vor elf ist es soweit. Susanne Dauber verliest die letzte Nachrichtenmeldung. Alexander Solschenizyn gestorben. Großer Mann. Umschnitt auf Moderator Tom Buhrow, betroffen: »Ein Kulturträger.« Stimmt. »Bei uns geht's jetzt weiter mit zeitgenössischer Kultur, kann man sagen.« Hinter Buhrows linker Schulter die schemenhaften Umrisse von Kirchtürmen im Nachthimmel und davor die hell erleuchteten blonden Haare von Steve Morse, der in leidenschaftlicher Pose seine Gitarre bedient. Hat der andere Blonde, jener im Studio, gerade - sozusagen im Namen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands mit ihrem nicht-kommerziellen Kulturauftrag - den Hard Rock mit dem Prädikat 'Kultur' geadelt? YESSSSSS!
Wird noch besser: »Kurze, sich wiederholende Tonfolgen, immer wiederholende Tonfolgen - in der Rockmusik nennt man sie Riff. Riffs sind natürlich sehr einprägsam. Die erfolgreichsten sogar so sehr, dass sie von vielen sofort erkannt werden.« Was nun folgt, bleibt den tagesthemenkuckenden Nachtmenschen des 3. August 2008 - vor allem den Rockern unter ihnen - exklusiv in Erinnerung. Denn im Online-Sendearchiv wurden die nächsten Sekunden einfach kaltblütig aus dem kollektiven öffentlich zugänglichen ARD-Gedächtnis herausgeschnitten...
Es handelt sich um ein herzliches Kapitel Rock-Unterricht seitens des Moderators. Ein solcher Moderator ist Tom Buhrow eben, im Gegensatz zu den Präsentatoren der Tagesschau zum Beispiel, weshalb der gute Mann erstens durchaus Einfluss auf die Ausgestaltung seiner Anmoderationen hat und zweitens auch das ein oder andere Emotiönchen zeigen darf. Nun gut, es folgt ein Beispiel für ein solches 'Riff'. Was da im Tagesthemen-Studio und an meiner heimischen Kathodenstrahlröhre aus den Lautsprechern dringt, ist nicht irgend ein Riff. Nein, es ist das berühmteste Riff überhaupt. Das Riff der Riffs. Das Riff, das unter 'Riff' im Lexikon steht. Das Riff von "Smoke On The Water"! Ungekürzt und am Stück, vier Takte zelebrierter Daseinsberechtigung einer elektrischen Gitarre...
Tagesthemen-Moderation für die Ohren! Normalerweise, wenn Tom Buhrow zu sehen ist, dann redet er mit dem Zuschauer. Deshalb ist er ja der Moderator. Dieses Mal muss er ruhig sein. Nicht sprechen, nur gucken! Eine skurrile Szene... Und als er so da steht, der Tom Buhrow, der selber Rockfan ist, Gitarre 'für den Hausgebrauch' beherrscht und gern auf Stones-Konzerte geht, da passiert etwas mit ihm... ein breites Grinsen löst die letzte Anspannung von Politik und sonstigen Katastrophen der Nachrichtenwelt aus dem Gesicht des Hobby-Saitenzupfers. Die Augen werden größer und beginnen zu funkeln! Ja, Tom Buhrow sieht so glücklich aus wie ein kleiner Junge, der zu Weihnachten seine erste Gitarre geschenkt bekommt! Sympathisch verlegen beginnt sein Oberkörper, sich ganz leicht im Takt des Über-Riffs zu bewegen - kleinste Zuckungen, die immer wieder im Dickicht der Disziplin eines gestandenen Nachrichtenmannes erstarren, bevor der innere Headbanger mit ihm durchgeht.
Es folgt ein Beitrag von Eckhart Querner vom Rock-Open-Air im Klosterhof Benediktbeuren. Headliner: Deep Purple! »Nein, das ist nicht die Hand von Deep Purple-Gitarrist Steve Morse. Diese Finger gehören dem rockenden Abtprimas Notker Wolf!« Rock'n'Roll ist zu hören, zu sehen der ranghöchste Benediktinermönch, Chef von weltweit 7000 Mönchen und 17 000 Nonnen. In brauner Mönchskutte, mit einem großen silbernen Kreuz an einer Kette um den Hals, mit Rhythmusgitarre und Headset-Mikro. Längst ist es freilich kein Geheimnis mehr, dass der Seelenhirte aus dem Allgäu ein bekennender Rockfan und -musiker ist. In seiner Abtei in Rom hat er sogar ein schallisoliertes Zimmer zum Abrocken am Feierabend! Zu seinen Favoriten zählt er augenzwinkernderweise "Stairway To Heaven" und "Highway To Hell". Und in der Band Feedback spielt er E-Gitarre und Querflöte - bei den Jethro Tull-Covers.
An jenem Sommerabend in Benediktbeuren, da sind Feedback die Vorgruppe von Deep Purple. Das Wort 'Altherrengruppe' aus dem Mund des Filmautors will ich hier mal überhört haben. Sein Traum: »Einmal mit Deep Purple "Smoke On The Water" spielen.« Der Abtprimas plaudert im O-Ton ein bisschen über Deep Purple. Dann sehen wir Ian Gillan vor ein paar Tausend Besuchern im prall gefüllten Klostergarten auf der mittlerweile in Dunkelheit gehüllten Bühne stehen, "Strange Kind Of Woman". Zeitsprung zurück. Vor dem Konzert treffen sich Ordensmann (Jahrgang 40) und Rock-Sänger (Jahrgang 45) backstage in den Klosterräumen. Nice to meet you. Thank you. Zeitsprung nach vorn. Wieder dunkel, wieder auf der Bühne. Zugabe. Dieses Mal sind es doch die Finger von Steve Morse. Und er spielt kurze, sich wiederholende Tonfolgen, die so bekannt sind, dass... ach ja, es ist dieses Riff, das Riff der Riffs, das Riff, das unter 'Riff' im Lexikon steht.
Zwei mal wiederholt sich die sich wiederholende Tonfolge. Dann hat Steve Morse mit dem ihn erhellenden (Heiligen-)Scheinwerfer die Mitte der Bühne erreicht. Und aus der trostlosen Dunkelheit ins rockende Rampenlicht tritt Abtprimas Notker Wolf. Jawohl, ab der dritten Wiederholung der sich wiederholenden Tonfolge ertönt das Riffs aller Riffs zweistimmig! »Und dann taucht der Benediktinermönch doch noch auf. Die Show ist perfekt - ein Traum in Erfüllung gegangen.« Und neben dem posenden, breit grinsend mit dem eigenen Finger auf die Finger des Erzabts weisenden Steve Morse passiert irgendetwas mit Notker Wolf. Die stets so selbstbewusst auftretende Eminenz schaut auf der ganz großen Rockbühne neben den Idolen plötzlich irgendwie ganz verlegen aus der Kutte, lächelt im Gegensatz zum Backstage-Treffen doch eher etwas gezwungen, und sein Blick sucht nervös einen perfekten, nicht existenten Punkt zum Hinkucken. Aufgeregt wirkt er, wie ein kleiner Junge, der sich irgendwann einmal unbändig über seine erste Gitarre unterm Weihnachtsbaum gefreut hat und dessen ganz großer Traum jetzt in Erfüllung geht. »Wir hoffen, nach diesem Kulturbericht finden Sie noch eine geruhsame Nacht«, verabschiedet sich Tom Buhrow - wieder grinsend, oder viel wahrscheinlicher immer noch grinsend - in Anlehnung an 'Mr. Tagesthemen' Ulrich Wickert.
Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Buhrow, ich hab gut geschlafen. Und mich wirklich über den Beitrag und ihre Moderation gefreut. Nicht so sehr über dieses bekannte Riff - das kannte ich ja schon. Aber darüber, sehen zu können, wie sehr sie sich gefreut haben, es spielen (lassen) zu können. Und darüber, wie sehr sich der Abtprimas gefreut hat, es spielen zu dürfen. Ich habe zwei kleine Jungs mit strahlenden Augen gesehen. Vorm Fernseher saß der dritte, und der hat sich nicht nur prächtig unterhalten, sondern auch erfahren, dass
1. harte Rockmusik zu unserer Kultur zählt,
2. 50 Jahre, nachdem eine verstärkte Gitarre noch mit dem Niedergang des Abendlandes gleichgesetzt wurde, selbige Musik tagesthemen- und sogar kirchentauglich geworden ist und
3. dass sie allein dadurch noch lange nicht langweilig ist - der rockende Abt mit Deep Purple auf der Bühne kam super, da wär ich gern dabei gewesen!
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